Ein Auftritt vor tausenden Fachbesuchern, ein Show-Konzept zwischen Science Fiction und Avantgarde – und eine Lernkultur, die selbst erfahrene Profis beeindruckt…

Beim World Hairdressing Congress in Xiamen unterstützte Bona Jörg das renommierte Marc Anthony Team und erlebte eine Branche, die hungrig nach Know-how, Trends und technischer Innovation ist. Im Interview erzählt sie, wie es zu dieser Zusammenarbeit kam, was chinesische Haarprofis besonders interessiert und welche Erkenntnisse für Friseure in Deutschland wertvoll sind.
Du warst kürzlich in China und hast dort gearbeitet. Wie kam es dazu?
Bona Jörg: Ich bin schon länger mit Bruno und dem Marc Anthony Team im Austausch. Sie treten jedes Jahr in China beim World Hairdressing Congress auf. Ich habe mich sehr darüber gefreut als Bruno mich gefragt hat ob ich sie in China unterstützen möchte. Der World Hairdressing Congress findet jedes Jahr in Xiamen mit rund 5.000 Fachbesuchern statt. Im Anschluss des Congress haben wir noch zwei Tage Training in Schnitt & Farbe gegeben.


Was konnten die einheimischen Haarprofis von euch lernen?
Bona Jörg: Wir haben auf der Bühne insgesamt 16 Modelle präsentiert – jeder von uns hatte zwei Schnittmodelle, zusätzlich gab es sechs Avantgarde-Looks. Der Fokus lag bewusst auf starken Kontrasten, klaren Linien und intensiven Farben, weil diese Optiken in China besonders gefragt sind. Die einheimischen Haarprofis konnten vor allem unsere Herangehensweise an moderne Farbkombinationen, präzise Schnittführung und den Umgang mit mutigen, editorialen Looks mitnehmen. Gerade die Avantgarde-Modelle haben gezeigt, wie man Technik und Kreativität verbindet und gleichzeitig tragbare Elemente hineinbringt.




Was hat dich beim Arbeiten mit den chinesischen Kollegen am meisten beeindruckt?
Bona Jörg: Am meisten beeindruckt hat mich ihre extrem schnelle Auffassungsgabe. Sie hören aufmerksam zu, saugen jedes Detail auf und setzen das Wissen direkt präzise um. Dazu kommt eine große Wissbegierde und ein sehr respektvolles Miteinander innerhalb der Branche.



Welche Unterschiede hast du bei der Haarqualität festgestellt? Wo lässt sich asiatisches Haar einfacher handhaben – und wo eher nicht?
Ich arbeite auch in Deutschland regelmäßig mit asiatischen Haartypen, daher wusste ich, was mich erwartet: Die Haarstruktur ist deutlich dicker, schwerer und in den meisten Fällen extrem glatt. Das macht asiatisches Haar sehr belastbar und ideal für klare, präzise Linien – Schnitte wirken sofort sauber und grafisch.
Herausfordernder wird es, sobald Textur ins Spiel kommt. Wellen oder Volumen halten ohne die richtigen Produkte und eine saubere Technik oft nicht lange, weil das Haar einfach zu glatt fällt. Auch im Farbprozess braucht man eine andere Herangehensweise: Aufhellungen funktionieren, aber man muss mit den richtigen Produkten, Geduld und dem richtigen Know -How arbeiten. Ein spannender Unterschied ist der Trend vor Ort: Dauerwellen sind in China nach wie vor sehr gefragt – oft auch in Kombination mit Farbe. Bei europäischen Haartypen ist das fast komplett verschwunden. In China funktioniert das, weil die Grundstruktur so glatt ist, dass eine Dauerwelle einen klaren Mehrwert bringt. Dadurch sieht man sehr deutlich, wie unterschiedlich Trends und Bedürfnisse weltweit sind.
Wie ist eure Arbeit in China angekommen?




Bona Jörg: Unsere Arbeit ist in China sehr gut angekommen. Das Marc Anthony Team wird dort seit vielen Jahren jedes Jahr erneut gebucht – allein das zeigt schon, wie hoch die Qualität und der Stellenwert der Arbeit eingeschätzt wird. In diesem Jahr stand alles unter dem Motto Science Fiction & AI, und genau darauf haben wir unser komplettes Show-Konzept aufgebaut: von speziellen Avantgarde-Looks über clevere Farbkombinationen bis hin zu präzisen, individuellen Schnitten. Trotz des gemeinsamen Themas hatte jeder von uns seinen eigenen Stil – und genau diese Mischung hat die Show für die Besucher so spannend gemacht. Das Feedback vor Ort war durchweg positiv. Die Fachbesucher waren begeistert von der Kombination aus europäischer Präzision, Kreativität und einem starken, durchdachten Gesamtkonzept.
Konntest du persönliche Kontakte knüpfen?
Bona Jörg: Ja, absolut. Vor Ort gab es einen sehr offenen und herzlichen Austausch mit den einheimischen Kolleginnen und Kollegen. Ich schätze das immer sehr, weil man gerade in unserer Branche viel voneinander lernen kann und jede Arbeitsweise ein bisschen anders ist. Solche internationalen Begegnungen geben immer neue Perspektiven. Außerdem war die Barber Society vertreten und hatte mehrere Barbiere aus Europa dabei. Auch dort sind sehr gute Kontakte entstanden.
Was würdest du Friseuren hierzulande empfehlen, die asiatische Kunden in ihre Zielgruppe aufnehmen möchten?
Bona Jörg: Wichtig ist, dass man die spezifischen Eigenschaften asiatischer Haarstrukturen wirklich versteht. Das Haar ist oft dicker, glatter und widerstandsfähiger – und genau deshalb reagieren Schnitt, Farbe und Styling anders als bei europäischen Haartypen. Ich würde jedem empfehlen, sich gezielt mit diesen Unterschieden auseinanderzusetzen: präzise Schnittführung, angepasste Aufhellungstechniken und die richtige Produktauswahl sind entscheidend. Gleichzeitig sollte man offen für Trends sein, die in Asien aktuell eine große Rolle spielen – zum Beispiel Dauerwellen. Diese Looks sind dort extrem gefragt und können auch hierzulande spannend für Kunden mit sehr glattem Haar sein.

Was war dein persönliches Highlight deines ersten Besuchs im Reich der Mitte?

Bona Jörg: Mein größtes Highlight war eindeutig die Show selbst. Eine Bühne vor rund 5.000 Menschen – das ist eine völlig andere Dimension. Ich kenne große Shows, aber diese Größe, kombiniert mit dem technischen Niveau vor Ort, war beeindruckend. Die Eröffnung mit einem fliegenden Roboter-Adler und Robotern in Menschengröße mit Perücken wo dran gearbeitet wurde, war surreal und gleichzeitig faszinierend.




Gleichzeitig hat mich die technische Entwicklung im Beauty-Bereich überrascht: Auf der Messe haben wir z. B. einen KI-gesteuerten, vollautomatisierten Haarwaschplatz sowie Föhn gesehen. In vielen Bereichen sind sie dort extrem weit – spannend, inspirierend und auch ein bisschen beängstigend.

Und was hast du als eher befremdlich empfunden?
Bona Jörg: Am befremdlichsten war für mich definitiv das Essen. Die Küche in Xiamen ist sehr traditionell und stark fleischlastig – und das in einer Form, die wir hier aus Europa nicht gewohnt sind. Wenn man dort Hühnchen bestellt, bekommt man tatsächlich das ganze Tier serviert, inklusive Kopf und Füßen. Für mich war das ehrlich gesagt eine Herausforderung, und ich habe mich die Woche über größtenteils mit Salat und gebratenem Reis über Wasser gehalten. Im Austausch mit den anderen europäischen Kollegen hat sich schnell gezeigt, dass es vielen genauso ging. Die Esskultur ist komplett anders, und genau das war für uns einerseits spannend zu sehen, andererseits aber ungewohnt und teilweise auch etwas befremdlich.

Könntest du dir vorstellen, dort für eine längere Zeit zu leben oder zu arbeiten?

Bona Jörg: Grundsätzlich ja – für projektbezogene Aufenthalte oder mehrere Wochen könnte ich mir das sehr gut vorstellen. Die Menschen waren unglaublich herzlich, wir hatten eine großartige Zusammenarbeit und fachlich war es extrem inspirierend. Solche Erfahrungen geben einem immer einen starken kreativen Push. Die Region, in der wir waren, wirkte auf mich etwas traditioneller – was aber vor allem daran lag, dass wir komplett im Arbeitsmodus waren, viel mit Einheimischen unterwegs waren und hauptsächlich lokale Restaurants besucht haben. Wir hatten kaum freie Zeit, um die Stadt wirklich kennenzulernen, daher kann ich das nur aus dieser Perspektive beurteilen.
Ich weiß aber, dass Städte wie Shanghai deutlich internationaler sind, und dort könnte ich mir längere Aufenthalte durchaus vorstellen. Die Energie, die Dynamik und die Innovationskraft in China sind beeindruckend – und wenn ein weiteres Projekt ansteht, bin ich definitiv wieder dabei. Langfristig dort zu leben eher nicht, aber für die Arbeit würde ich jederzeit zurückkommen.
Insgesamt bin ich sehr dankbar für die Erfahrung. China hat mich fachlich inspiriert und persönlich beeindruckt – und ich freue mich auf alles, was daraus in Zukunft entsteht.









